Es ist wieder soweit: Das neue Jahr wurde mit Champagner, Bleigießen, aber ohne Böller begrüßt, die letzten Plätzchen sind gegessen, der Gang auf die Waage wird konsequent vermieden und der heimische Christbaum hat seine Glanzzeiten längst hinter sich. Also raus damit. Doch wohin?
Eigentlich gäbe es dafür in München ja 23 offizielle Christbaum-Sammelstellen plus alle kommunalen Wertstoffhöfe. Aber leider kaum in der Innenstadt, wo der ursprünglich eher heidnische Brauch angesichts weitläufiger Altbauwohnungen inklusive herrschaftlicher Deckenhöhen begeistert gepflegt wird. Also wie soll man dort hinkommen mit dem verdorrten und nadelnden Gewächs?
Mit dem eigenen SUV ist keine glückliche Alternative, denn erfahrungsgemäß hat man die Nadeln trotz ergiebigstem Staubsaugen jahrelang im Fußteppich und auf dem Kofferraumboden. Und in Corona-Zeiten mit der alten Tanne in die Tram oder den Bus verbieten die AHA-Maßnahmen.
Auch die bei vielen beliebte – aber strafbewährte – Variante, den alten Baum beim sonntäglichen Ausflug in den umliegenden Wäldern zu entsorgen, ist in Corona-Zeiten angesichts des virologisch geforderten Reiseverzichts riskanter geworden.
Denn wer sich jetzt mit Münchner Autokennzeichen etwa Richtung Tegernsee oder Wolfratshausen aufmacht, läuft Gefahr, von Tagesausflügler-genervten Anwohnern oder gar von der Pandemie-besorgten Polizei aufgehalten zu werden. Wie soll man dann die blasse Blaufichte auf dem Rücksitz erklären? Als zu betreuenden Pflegefall?
Doch es hilft nichts, der Baum muss raus. Denn anders als in früheren Jahren, als man spätestens nach Heilig Drei König wieder ganztags im Büro saß und nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ das heimische Waldsterben verdrängte, hat man jetzt im Corona-bedingten Home-Office die vor sich hinwelkende Tanne immer um sich.
Das drückt auf Dauer aufs Gemüt und bremst den nötigen Elan für den Job. Außerdem macht es einen schlechten Eindruck, wenn bei einer spontanen Videokonferenz im Hintergrund die traurige Tanne zu sehen ist, die nur noch von den Kerzenklips oder der Lichterkette zusammengehalten wird.
Und so entschlossen sich in den vergangenen Tagen verzweifelte Christbaumbesitzer, zwischen Sonnenuntergang und Ausgangssperre still und heimlich ihre botanische Mumie in öffentlichen Grünanlagen zu deponieren. Es müssen Tausende dieser Wild-Entsorger gewesen sein angesichts der Tonnen von Tannen, die sich derzeit in nahezu jedem Stadtviertel auftürmen.
Massives Waldsterben in Münchner Stadtviertel



